Friedenskirche Remagen: Unsere „kleine Kathedrale”
Es ist gut, dass die Verantwortlichen in unserer Gemeinde die neue Kirche „Friedenskirche” genannt haben und nicht etwa „Siegeskirche”. Das hätte dem Zeitgeist der Jahre 1871/72 nach dem militärischen Sieg der damaligen deutschen Staaten gegen Frankreich und der soeben vollzogenen Gründung des Deutschen Reiches durchaus mehr entsprochen. Sie entschieden sich aber für den Frieden und gaben unserer Kirche damit einen Namen, an dem wir uns auch heute ungetrübt freuen können.
Vom Zeitgeist zeugt ohne jede Einschränkung der Baustil der Friedenskirche, die am 18. Juni 1872 geweiht wurde. Und auch daran können wir uns ungetrübt freuen. Der Architekt, Baurat Cuno, wendete den Baustil der Neugotik an. Das war aktuell, wie das berühmte Beispiel in der Nachbarschaft, die Apollinariskirche (1843), aber auch die Vollendung des Kölner Doms im Jahre 1880 (632 Jahre nach der Grundsteinlegung!) zeigt. Profanbauten der unmittelbaren Umgebung wie das Schloss Sinzig und das Schloss Marienfels bei Remagen sind ebenfalls nach dem Vorbild der ursprünglichen Gotik vom 13. Jahrhundert bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts entstanden.
Die Linien der Gotik streben nach oben, zum Himmel. Große, schmale Fenster, fast so hoch wie der Chor, lassen – im Vergleich zu den romanischen Kirchen der vorherigen Epoche – viel Licht in das Kirchenschiff, das gotische Maßwerk signalisiert zusätzlich Pracht und Größe. Die berühmten gotischen Kirchen faszinieren durch ihre Größe, die sich mit einem einzigen Blick erfassen lässt. Dank neuer Erkenntnisse und Bautechniken war es im 12. Jahrhundert möglich, größere Hallen zu schaffen als zuvor, die Deckengewölbe in Form des Spitzbogens ergaben eine bessere Statik als die bisherigen und machten Stützpfeiler im Innenraum überflüssig. Dafür gab es sie außen, wie es beim Typ der gotischen Basilika (eigenständige Seitenschiffe) deutlich zu sehen ist. Der andere Typ der gotischen Kirche ist die Hallenkirche (alle drei Schiffe sind gleich hoch und vom Dach umschlossen), und dem ist unsere Friedenskirche nachempfunden. In der Neugotik des 19. Jahrhunderts bewunderte man die Vergangenheit und verehrte dabei besonders den reinen, klaren Stil der Gotik. Oft folgte man dem Stil konsequenter als man ihn beim Vorbild vorfand. Und man übertrug ihn auf kleinere Kirchen wie in unserem Falle. Die Friedenskirche ist eine maßstabgetreue, fast niedliche Verkleinerung der großen gotischen Kathedrale (die nach der Definition allerdings zum Bischofssitz gehörende Kirchen waren).
Alle Linien zeigen zum Himmel
Architekt Baurat Cuno ist mit Gefühl zu Werke gegangen. Breiten- und Längenmaße von Turm und Kirchenschiff stehen in einem harmonischen Verhältnis zueinander. Drei Achsen in den Seitenwänden mit drei großen Fenstern und zwei angedeuteten Stützpfeilern, drei Fenster im deutlich niedrigeren und schmaleren Chor setzen diese Einteilung fort. Ein Treppengiebel und gotische Fialen (aus Stein gemeißelte, schlanke, spitz auslaufende Türmchen)betonen zusätzlich das Kirchenschiff im Verhältnis zum Chor. Vorn findet sich dieselbe Art von Treppengiebel, ist aber in seiner Wirkung durch den Turm zurückgesetzt. Denn hier geht es um mehr. Der schlanke Turm mit seinem spitzen Dach stimmt den Besucher schon vor dem Betreten der Kirche ein: alle Linien zeigen zum Himmel, unübersehbar und unwiderstehlich. Zunächst der nur leicht spitzbogige Eingang, dann die wie das Abbild einer Kirche wirkende Verzierung – hier findet sich auch nach gotischem Vorbild eine Rosette – mit dem Kreuz auf der „Dachspitze”, im Mittelstück nochmals eine Öffnung wie eine Rosette und schließlich der leicht herausspringende Abschluss mit den vier Eckpfeilern, dem gotischen Fenster und der Spitze darüber. Den effektvollen Schlusspunkt setzt das elegante Dach, gekrönt von dem goldenen Kreuz. Gelblicher Ziegelstein, abgesetzt mit dunkelrot, betonen die Linien und Formen der Kirche.
Nur zweimal hat die Friedenskirche erkennbare Umbauten über sich ergehen lassen müssen. 1969 wurde im Zusammenhang mit umfangreichen Reparatur- und Renovierungsarbeiten die Toilettenanlage im Vorraum der Kirche eingerichtet. 1971, zum 100-jährigen Bestehen, erfolgte eine Innensanierung, bei der die Empore, an die sich ältere Gemeindeglieder noch gern erinnern, weggenommen wurde.
Kriegsschäden hatte die Friedenskirche allerdings verkraften müssen, die zahlreichen Bombenangriffe auf Remagen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ließen sie nicht unbehelligt. Am 28. Dezember 1944 wurde sie schwer beschädigt. Zunächst hatte man im Winter 1945/46 in der notdürftig hergerichteten Kirche den Gottesdienst wieder aufnehmen können, am 15. Mai 1947 stürzte aber ein Teil des Turmes auf das Dach des Schiffes, so dass erst einmal eine gründliche Restaurierung anstand. Zum Reformationsfest 1950 feierte die Gemeinde den ersten Gottesdienst in der Kirche, in der Zwischenzeit war sie in der Kapelle St. Anna zu Gast gewesen.
So positiv wie im äußeren Erscheinungsbild präsentiert sich unsere Kirche auch im Innenraum. Gotische Gewölbe leisteten sich die Erbauer allerdings nur im Chor, nach der jüngsten Renovierung sehr schön betont durch das Absetzen in hellblau vom weißen Grundton. Ein großer Spitzbogen stellt den Übergang zum Kirchenschiff dar. Hier ist die Decke flach eingezogen und mit Holz verkleidet. Glanzstück des Kirchenraumes aber sind die 1972 eingesetzten Fenster. Tiefes blau in den jeweils drei Fenstern des Schiffes und mit Rot betont in denen des Chores, diese feine Abstimmung gibt dem Raum seine Atmosphäre, unterstützt von passendem Wandschmuck. Kreuz, Kanzel und Altar sind schlicht gehalten und tragen so zur positiven Wirkung bei.
Inspektionen
Insgesamt drei Auflistungen über den baulichen Zustand der Kirche enthält das Archiv der Gemeinde. Im Juli 1910 untersuchte das Provinzialkirchliche Bauamt das Gebäude und stellte ihm dabei ein gutes Zeugnis aus. Allein zur Beheizung gab es ein Fragezeichen. Unter der Rubrik „Wie wird das Gebäude geheizt?” ist vermerkt: „Mit Ofen, der aber abgängig.” Vermutlich hat man schnell Ersatz beschafft. 1932 war das Provinzialkirchliche Bauamt dann wieder da. Erneut erforderte die Ofenheizung Aufmerksamkeit: „Die Orgelempore ist vor einiger Zeit weiter in den Raum hinein vergrößert worden. Das Ofenrohr des zweiten Ofens geht bedenklich nahe unter dem Holzwerk her. Ich habe Bedenken, dass hier bei einem starken Heizen des Ofens leicht ein Anbrennen der lackierten Holzteile eintreten könnte und damit unter Umständen eine Vernichtung der ganzen Kirche”. Dazu kam es zum Glück nicht, und die Ofenheizung ist längst Vergangenheit.
Der Turm als Punkt
Der Turm unserer Friedenskirche ist nicht nur ein Blickfang für den Betrachter und Heimstatt für die Glocken, er erfüllt, ganz still und gewissermaßen nebenbei, auch noch einen anderen Zweck: Er dient dem Katasteramt Sinzig als trigonometrischer Punkt. Solche Punkte werden als Hilfsmittel benötigt, um Gebäude und Grundstücksflächen einzumessen. Der Aufnahme in dieses Register verdanken wir heute eine interessante Karte, der sich im Archiv des Amtes gefunden hat. Die „Ergänzungskarte Nr. 195” zur „Gemarkung Remagen Nr. 151”, erstellt nach einer Messung am 29.10.1898 und fußend auf einer Einmessung durch das Amt vom 05.08.1878, zeigt nicht nur sehr schön die Lage der Kirche, sondern auch den Verlauf der Grundstücksgrenzen und der damaligen Bebauung, die weit dünner war als heute.
Über die Glocken
Mehrfach spielten kriegerische Ereignisse eine gewichtige Rolle in der Geschichte der Glocken unserer Friedenskirche. Es begann mit der Beschaffung aller drei Glocken 1871 und dem Verlust zweier von ihnen im Jahre 1917. Die ersten Glocken wurden aus 10 Tonnen Geschützbronze gegossen, die von französischen Kanonen stammten. Wie einer im Archiv der Gemeinde enthaltene Notiz zu entnehmen ist, hatte seinerzeit „Seine Majestät der Kaiser und König … die unentgeltliche Überlassung … Allergnädigst zu genehmigen geruht”. Gegossen wurden die Glocken bei der Firma Theodor Lehmann in Neuwied. Im Jahre 1917 gingen zwei der „Beuteglocken” den Weg zurück und wurden wieder zu Kanonen verarbeitet. In die Zeit nach 1922 – in jenem Jahr wurde in der Gemeinde für neue Glocken gesammelt – fällt die Ersatzbeschaffung nach dem schmerzlichen Verlust von 1917. Im Jahre 1942 allerdings war es wieder so weit. Im Rahmen der „Metallmobilisierung” zur „weiteren Verstärkung der Rüstungsreserve” wies der Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten Erfassung, Ausbau und Abtransport der Glocken an. Es blieb nur eine kleine, 1928 gegossene Glocke übrig (Durchmesser 58 Zentimeter, Gewicht 120 Kilogramm). Ersatz für die anderen beiden kam nach Kriegsende und zwar gleich mit zwei besonders interessanten Glocken: als zweite, mittelgroße Glocke tut seit März 1952 eine Leih- und Patenglocke aus der früheren Gemeinde Sukow/Kreis Schlawe in Pommern Dienst, eine Glocke aus dem 15. Jahrhundert (Durchmesser 71,5 Zentimeter, Gewicht 208 Kilogramm). Die größte Glocke ist ebenfalls eine Leihglocke und kam zusammen mit der mittleren. Sie stammt aus einer unbekannten Gemeinde im früheren Kreis Jauer in Schlesien und wiegt 475 Kilogramm. 1731 war sie in Hirschberg gegossen worden, eine Inschrift verrät aber eine viel längere Geschichte: „Gott zu Ehren hat mich die Gemeinde Thomasdorf als ich den 26 ME 1731 durch einen Wetterstrahl nebst der anderen kleinen Glocke in die Aschen gelegt ward aus dem übriggebliebenen Metall gießen lassen” (Angaben zu den Glocken: Deutscher Glockenatlas, ca. 1960). Auch dies war letztlich eine Kriegsfolge. So verschlungen können die Wege von Kirchenglocken sein – die einen verschwinden in Kanonen, die anderen läuten viele hundert Jahre! Die zwei alten Glocken sind eine herausragende Besonderheit unserer Friedenskirche.
Mathias Röcke