Unserer Gemeinde wurde etwas geschenkt:
eine Königin und ein König.
Zwei haben sie entdeckt, drei haben sich auf die Spur der König*innen begeben, vier stellten sie in den Gottesdiensten am 24. Juli der Gemeinde vor.

Die Königinnen und Könige sind auf der ganzen Welt zu Hause – und kommen ganz aus unserer Nähe, nämlich aus Bonn. Hier erzählen die drei, die die Königin und den König in unsere Gemeinde gebracht haben, von deren Geschichte:

„Der Schöpfer der König*innen heißt Ralf Knoblauch und arbeitet als Diakon an einem sozialen Brennpunkt in Bonn.  Seinen Arbeitstag jedoch beginnt er in seiner Werkstatt – gegen 5 Uhr morgens mit einer besonderen Meditation. Dabei schnitzt er jeweils eine Stunde lang an diesen bizarren Figuren aus dem 280 Jahre alten Eichengebälk eines ehemaligen Fachwerkhauses. Mehr als 800 davon sind inzwischen entstanden, und jede ist ein Einzelstück.
Wir haben Herrn Knoblauch in Bonn-Lessenich besucht und damit auch viele seiner Königinnen und Könige kennengelernt. Sie alle erscheinen etwas grob – mit Ecken, Rissen und Kanten. Er hat sie, sagt er, ganz bewusst auf das Wesentliche reduziert: nur einfache Kleidung, kein Schmuck oder sonstiges Beiwerk. Ihr Königtum besteht vielmehr in ihrer aufrechten Haltung mit hoch erhobenem Haupt sowie einer goldenen Krone. Die symbolisiert die unverlierbare Würde, die jeder Mensch von Gott bekommen hat – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter, Religion und Vermögen.
Und eines war Herrn Knoblauch ganz besonders wichtig: Alle seine Geschöpfe sind freundlich, ‘Kein König verlässt traurig meine Werkstatt‘, sagt er. Natürlich schnitzt er all diese Figuren nicht nur für sich selbst. Und auch nicht als Wohnzimmerdekoration, das betont er ausdrücklich. Sein Anliegen ist, sie gleichsam als Botschafter der unverlierbaren Menschenwürde in alle Welt zu schicken: in Flüchtlingslager in Palästina, Syrien, Afghanistan und Afrika. Und manche bringt er auch selbst dorthin, wie zum Beispiel eine Königin zu den Flüchtlingen auf Lesbos, nach dem großen Brand; oder einen König zur Ermutigung der Besatzung auf das Seenotrettungsschiff Alan Kurdi im Mittelmeer.
Wo immer sie auch sind, wollen die Figuren Opfern von Gewalt und Katastrophen Mut machen. Sie wollen sie an ihre scheinbar verlorene Würde erinnern; und ihnen ebenso wie ihren Helfern Gottes Trost und Beistand vermitteln.
Ja und dann haben wir angefangen, solche Königinnen und Könige auch hier, ganz in unserer Nähe zu suchen. So trafen wir zum Beispiel den stellvertretenden Bürgermeister von Remagen. Eine der Königinnen hat ihn und eine Helfergruppe in Kripp begleitet, als sie die Ahrmündung nach der Flut gesäubert haben.
Ganz in unserer Nähe befindet sich auch eine Königsfigur im Hospiz in Bad Neuenahr. Sie will die Sterbenden und alle, die mit ihnen zu tun haben, erinnern: Wir alle sind Könige und Königinnen mit unserer eigenen Würde. Darum achten, schätzen und helfen wir uns gegenseitig, die vor uns liegenden Schritte als wertvolle Menschen getröstet gehen zu können.“

In den Gottesdiensten überlegten die vier dann, wo die Königin und der König auch in unserer Kirchengemeinde Gutes bewirken können. Als erstes fielen uns die Menschen ein, die noch immer an den Folgen der Flut tragen.
Die Flut ist nun schon ein Jahr her. Bei den Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag gab es Gottesdienste, Musik, Licht, vor allem aber gab es Gespräche. Einige Menschenerzählten, dass sie eigentlich ganz gut dastehen. Das meiste sei geschafft. Bei vielen anderen Menschen hat das letzte Jahr jedoch offensichtliche Spuren hinterlassen. Auch sie konnten von Fortschritten erzählen, doch zu groß der Berg, der noch vor ihnen liegt. Zu mühsam alles. Zu müde, müde, müde sie selbst. Oder zu fremd das alte, neue Zuhause, wenn alle Nachbarn fehlen und der alte, gemütliche Sessel durch einen nagelneuen ersetzt wurde …
Bescheiden sahen wir unsere kleine Königin und unseren kleinen König nach vorne treten, die Menschen vorsichtig berühren und sagen, ganz leise: „Du bist eine Königin! Du bist ein König! In dir steckt, vergiss das nicht, ein unverlierbarer Kern, eine unverlierbare Kraft. Denn Gott will, dass du lebst und dass du aufrechtlebst. Gott will, dass du deinen Weg gehen kannst. Dazu wird er dir Kraft geben. Dazu wird er dir immer wieder Hoffnung geben, Lichtblicke, die dich nach vorne ziehen. Menschen, die an deiner Seite sind. Du wirst wieder ein Zuhause haben, das diesen Namen verdient. Du wirst wieder Königin und König deines Lebens und deines Hauses sein. Du wirst eine neue Freiheit spüren. So wird es kommen. Bis dahin halte dich an jenen anderen König, den, der mit dir geht, der deine Müdigkeit, deine Trauer, deine Wut mit dir aushält und trägt. Der dich an seiner Kraft teilhaben lässt. Also, auch wenn du es gar nicht spürst: Du bist eine Königin! Du bist ein König!“

Als nächstes ging es um die Sommerferien, die an diesem Wochenende die Sommerferien begonnen hatten. Manche, die den Gottesdienst mitfeierten, haben eigentlich gar nichts mehr mit Schule und darum auch nicht mehr mit den Sommerferien zu tun. Doch die kleine Königin und der kleine König erinnerten an die Verheißung, die in den Sommerferien liegt – für alle:
Das Leben läuft ruhiger. Es gibt nicht so viele Termine. Unsere Schritte dürfen langsamer gehen. Auch mal stehen bleiben. Wir dürfen ins Schlendern geraten. Wir dürfen uns aufrichten. Schauen. Entdecken. Wir dürfen mehr sein als das, was wir zu tun und zu erledigen haben. Wir dürfen zu uns kommen. Manchmal ist der Weg dahin kurz, manchmal dauert er länger. Aber dann dürfen wir ankommen. Und vielleicht fasst man sich dann auf einmal auf den Kopf und spürt: Da ist was. Da ist ja eine Krone! Gott krönt mich mit Gnade und Barmherzigkeit, mit Zeit, mit meinem Gesicht, meinem Gang, meinem Blick, die einzigartig sind. Gott krönt mich mit Gaben und Gedanken, die so nur ich habe. Gott krönt mich mit Empfänglichkeit und Freude: an der Landschaft, in die ich eingebettet bin, an Düften und Farben, an einem Buch, am Nichts-Tun, an was auch immer. Und auf einmal bin ich nicht nur mir selbst nah, sondern auch der Erde, dem Himmel, sogar Gott – so aufrecht und aufmerksam und wach, wie ich nun bin. Ihr seid Königinnen und Könige!

Die König*innen können auch an die eigene Taufe erinnern. Martin Luther jedenfalls glaubte die Taufe als eine Trutzburg gegen alles, was ihn das Vertrauen verlieren lassen wollte, das Vertrauen in Gott und in sich selbst. Im Blick auf die Taufe lautet die Botschaft der Königin und des Königs:
Gott, der König der himmlischen Heerscharen, dein Schöpfer und dein Heiland, hat sich bei deiner Taufe vor aller Augen und Ohren zu dir bekannt. Er hat gesagt: „Wir beide, wir gehören zusammen. Niemals werde ich dich verlassen, komme, was wolle. Denn ich habe dich lieb.“ Und schon wurde klar: Königin-Sein und König-Sein von Gott her, das hat nicht mit erhobener Nase zu tun, doch mit erhobenem Haupt, erhobenem Blick, mit aufrechtem Gang. Die kleine Königin und der kleine König sind nicht perfekt. Manche würden vielleicht sagen: Sie sind etwas grob geschnitzt. Sie haben die ein oder andere Macke. Sie sind nicht, wie manche es erwarten mögen. Und damit sind sie, wie wir sind: vom Leben geformt, auch gezeichnet. Mit dem, wo wir schuldig geworden und was wir schuldig geblieben sind. Doch immer, in dem, was ist, so wie wir sind, sind wir zugleich Kinder Gottes, mit der Würde seiner Liebe und Barmherzigkeit beschenkt. Nie werden wir Gott verloren gehen. Nie will Gott uns verloren gehen. Er hat Gutes mit uns im Sinn. Er hat vielleicht auch eine Aufgabe, für die er genau uns braucht, uns, mit unserem So-Sein, unseren Brüchen, unseren Gaben, unserem Charisma und unserer Würde.

In Zukunft werden die Königin und der König durch unsere Gemeinde ziehen. Sie werden das Altenheim besuchen. Sie werden sich in den Kreis zu den Angehörigen von an Demenz Erkrankten setzen. Sie werden einen 80. Geburtstag bei einem Ehepaar, das von der Flut schwer getroffen wurde, mitfeiern. Sie werden dem „Café SolidAHRität“ einen Besuch abstatten. Sie werden in die Konfirmandennachmittage hineinschnuppern. Und wer weiß, wo sie noch auftauchen werden – mit ihrer Würde, ihrer Freundlichkeit, ihrer Botschaft vom Himmel für die Erde samt ihren finsteren Tälern. Die König*innen werden da stehen, mit ihren geschlossenen Augen, und mehr sehen, tiefer und höher. Und werden Mut machen. Wir freuen uns auf die Begegnungen.

Wer mehr Königinnen und Könige kennenlernen möchte: Von Mitte September bis Anfang Oktober findet in unserer Nähe, in Bonn-Beuel, eine Ausstellung von König*innen mit Begleitprogramm statt. Mehr dazu erfahren Sie hier.